Blog: Probleme und der Kampf um den Südpol

Ich hatte ja Probleme angekündigt in meinen letzten Newsletter. Was macht das jetzt gerade mit Dir, Wenn Du das liest? Unlust weiterzulesen? Weggucken wollen? Abwehr? Vielleicht doch Interesse? Versuch einfach einmal mit mir eine kleine Reise durch die erstaunliche Welt der Probleme:

Ich fange mal an auf der Antarktis (das erscheint mir bei diesen Temperaturen angemessen), dort wo die Zauberwelt so schön wie eben auch kalt ist. Dort lieferten sich 1911 Roald Amundsen und Robert Scott die Schlacht um die Eroberung des Südpols. And the winner was? Roald Amudsen. Wer sich näher damit beschäftigt, warum, der kommt auf folgendes: Amudsen hatte in fast unglaublicher Manier viele Probleme vorhergesehen, die das Team auf der lebensfeindlichen Expedition erwarten würde, und hat sich und seine Leute entsprechend vorbereitet: Er selbst machte eine Radtour von Skandinavien bis Spanien, nahm eine Hütte mit, die er, um niemand zu verunsichern, als Beobachtungshütte deklarierte und hatte 97 Schlittenhunde dabei, wohlahnend, dass der eine oder andere eventuell Lebendproviant werden würde. Scott dagegen versucht es mit Motorschlitten, die damals allenfalls Betaversionen waren und alle ausfielen und nahm sogar Ponys mit, die in der Kälte starben (weil ihr Schweiß gefror). Zum Schluss überlebten Scott und sein Team das Drama nicht, Amudsen schaffte es.

Soweit der Ausflug in die Geschichte. Wenn man in die heutigen Erfolgsgeschichten von Unternehmen schaut, dann erkennt man ebenfalls: Die großen Erfolge werden ermöglicht, weil Probleme, die kommen könnten, wahrgenommen worden sind und gelöst worden sind. Apple (Steve Jobs) und Microsoft (Bill Gates) sind zu ihren jeweiligen Hochzeiten prominente Beispiele dafür.

In vielen Unternehmen hingegen (großen wie kleinen) werden entscheidende Probleme entweder erst gar nicht gehört („die sollen einfach arbeiten“) oder nur halbherzig angegangen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und reichen von fehlendem Vertrauen in die eigene Kraft und in das eigene Team bis hin zur Angst vor der Verantwortung für wirkliche Veränderung im Unternehmen, zur Angst vor dem eigenen Erfolg und dem, was dann folgt. Manchmal werden sogar Berater dafür eingesetzt, dass sich letztlich nichts ändern muss, weil die tatsächlichen Probleme nicht angegangen werden, sondern nur um die Probleme herum Flickschusterei betrieben wird. Dabei werden für viel Geld (Trost-)Pflaster auf Stellen geklebt, die wenige Monate später wieder aufbrechen. 

Im Zweifelsfall sorgt das für verpasste Chancen und für gesundheitliche Folgen für Unternehmer*innen, Führungskräfte und Mitarbeiter*innen. Gerade in Teams indes sorgen ungelöste zwischenmenschliche Probleme oft für wahre Kaskaden: Verletzte Menschen verletzen Menschen. Ein Mobbingfall, der ignoriert wird, pflanzt sich meistens fort.

Probleme sind übrigens auch unternehmerische Unsicherheit und strategische Ratlosigkeit von Führungskräften. Diese Probleme tarnen sich oft mit Gedanken wie „die anderen (Konkurrenz, Mitarbeiter, Staat etc.) sind schuld“ oder gar mit mehr oder weniger ziellosem Aktionismus.

Die Probleme, die Kunden äußern oder die Mitarbeiter haben, die Leistung bringen wollen, sind meistens Gold wert, wenn - ja, wenn sie erkannt werden. Wenn sie nicht gehört werden, werden Kunden zu Nichtkunden und leistungsorientierte Mitarbeiter oft zu reinen Befehlsempfängern.

Wer Probleme weglächelt (vielleicht hat der eine oder andere schon einmal Callcenter erlebt, deren Mitarbeiter genau das tun müssen: Probleme weglächeln) oder sie auf andere Arten ignoriert, der stirbt am Südpol oder auf der Klettertour in den Bergen, zumindest aber wird er den Entwicklungsraum hinter dem Problem verpassen oder er wird die Expedition, was auch immer die ist, erst gar nicht antreten. So wird er zum Beispiel nicht Marktführer oder nicht kundenfreundlicher oder verpasst wertvolle Impulse für Innovation im eigenen Unternehmen oder einfach den Aufstieg auf der Karriereleiter oder ein für ihn sinnvolleres Leben.

Ja, ich habe das Gefühl und nehme wahr, dass wir in unserer Gesellschaft Probleme gerne ignorieren. Manchmal schauen wir einfach komplett weg, deuten Realität um, nur damit wir in unserem Bequemlichkeitsmodus bleiben können. Wir taufen Probleme auch gerne um, nennen sie direkt Chancen oder Herausforderungen, obwohl die Chance oder die Herausforderung erst kommen, wenn das Problem wahrgenommen worden ist, der „Problemraum“ durchschritten ist und eben dabei zum Entwicklungsraum, zum Raum für wertvolles Wachstum wird.

Das gilt auch für Probleme, die in unseren Leben immer wieder gleich auftauchen: Sie sind immer wieder die gleichen, weil unser Verhalten immer wieder das gleiche ist. Im Zweifelsfall seit dem zehnten oder gar fünften Lebensjahr. Nur: das Verhalten, das damals für etwas gut war, ist vielleicht heute nicht mehr sinnvoll oder wir hätten ganz andere Möglichkeiten und Stärken heute. Da hilft dann also eine feinfühlige, akzeptierende und achtsame Reise in alte Probleme, um die Muster, die dort nicht weiterhelfen, zu identifizieren, andere Verhaltensmuster zu erarbeiten und zu testen und damit das alte Problem endlich lösen zu können, das in unseren Leben immer wieder das gleiche anrichtet. Hier ist oft bei uns Menschen am meisten Entwicklungspotential. Das gilt übrigens auch in Teams, in denen alte Muster Veränderung dauerhaft verhindern. (Ja, das ist ein Teil meiner Dienstleistung, Probleme mit Unternehmern, Führungskräften und Teams und zu identifizieren und Lösungen anzutriggern)

Dabei ist mir eines ganz wichtig, weil mir immer klarer wird, wie schambesetzt Ratlosigkeit, Unsicherheit und Schwäche gerade bei Menschen sind, die in Verantwortung stehen und gewohnt sind, stark sein zu müssen, auch dann, wenn es sonst niemand ist: NEIN, es ist nicht peinlich Probleme zu haben. Es ist auch nicht peinlich, sich bei Problemen helfen zu lassen, Spitzensportler haben ja auch Trainer... Und schon gar nicht ist es peinlich, sich selbst auch mit Problemen und Schwächen anzunehmen und zu mögen. 

Vielleicht hilft es ja, wenn man sich überlegt, ob Sieger die sind, die ihre Probleme ignorieren oder weglächeln, oder die, die sich ihren Problemen stellen und sie dann angehen und sich weiterentwickeln.

Meine bisherige Erfahrung, wenn ich mit Klienten und Teams zusammenarbeite: Ist die Bereitschaft erst einmal da, wirklich wahrzunehmen, was ist, und der Wunsch nach Veränderung vorhanden, können Veränderungen und damit Lösungen entstehen, die Klienten vorher nicht ansatzweise vermutet hätten, die in Unternehmen völlig neue Perspektiven ermöglichen. Das sind für meine Kund*innen und mich die zauberhaften Momente - hinter dem Problem, nicht neben dem Problem.

 

Reflektionsfragen:

Wie reagierst Du, wenn Probleme auf Dich zukommen? Willst Du an der Art, wie Du reagierst, etwas ändern? Wenn ja, was?

Wenn Du Dein nächstes ambitioniertes Vorhaben vor Dir siehst, vielleicht sogar eines, was Du seit langer Zeit aufschiebst, wo könnte es noch Probleme geben, auf die Du oder Dein Team sich „Amudsenmässig“ vorbereiten könnte? Und wenn Du Dein Projekt aufgeschoben hast und du die Probleme jetzt durchgehst: fühlt sich Dein Vorhaben dann machbarer an, wenn Du die Probleme identifiziert und im Kopf gelöst hast?

Wo in Deinem Unternehmen werden Probleme nur halbherzig angegangen? Wenn Du Dich eines der Probleme annimmst: Was könnte wahr werden, wenn das Problem - wie auch immer - richtig gelöst wäre?

Copyright: Anatol Hennig 2019


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