Bitte mach bei folgendem kleinem Experiment mit:
Zähle bitte die Zeichen in diesem Satz.
Bitte erst zählen, dann weiterlesen.
Wie viele hast Du gezählt? 32, 38 oder 39? Das kommt ganz darauf an, ob Du die Leerzeichen mitgezählt hast und den Punkt am Satzende. Gemeint habe ich alle Zeichen mit Leerzeichen, so wie man das braucht, wenn man zum Beispiel passgenau für einen Flyer schreiben muss, für eine Fahrzeugbeschriftung oder in Twitter.
Das hätte ich vorher sagen können, denkst Du jetzt? Genau, hätte ich. Und damit sind wir im Thema. Klare Sprache ist, wenn beim Empfänger möglichst genau das ankommt, was der Sender sendet. Wenn ich geschrieben hätte: „inklusive Satzzeichen und Leerzeichen“, dann hättest Du gewusst, was zu tun ist.
Wenn in Unternehmen Abläufe schlecht funktionieren, wenn Mitarbeiter, Führungskräfte und Unternehmer feststellen, dass nicht das herauskommt, „was besprochen war“, dann ist oft (nicht immer) die Sprache zu unklar gewesen. Wenn Teams viel reden und wenig herauskommt, dann fehlt es an Klarheit in der Sprache. Klare Sprache ist vor allem ergebnisorientierte Sprache.
Unklarheit kann am Berg tödlich sein
Rettungskräfte, Soldaten, Bergsportler haben deshalb klare eindeutig definierte Kommandos. Wenn sie das nicht hätten, würde es wesentlich mehr gruselige Schlagzeilen geben. Ein falsches Seilkommando in einer Kletter- oder Gletschertour (auf dem Foto oben eine Gletscherspalte auf dem Weg zur Wildspitze) kann den Tod der Seilschaft bedeuten.
Und in Unternehmen und Organisationen, in denen es nicht jeden Tag um Leben und Tod geht? Ich gebe die Frage an Dich weiter:
- Wie unklar oder klar wird mit Dir kommuniziert?
- Wie unklar oder klar kommunizierst Du selbst?
- Wie unklar oder klar wird in Deinem Team kommuniziert?
- Was ist der Schaden, wenn nicht klar kommuniziert wird, in Zeit und damit in Geld, was ist der Schaden am gegenseitigen Vertrauen, wenn Absprachen nicht funktionieren?
Kreativität und klare Sprache
Gerade in Zeiten agiler Unternehmensorganisation und New Work, sage ich voraus, wird klare Sprache an den entscheidenden Stellen wieder eine Renaissance feiern. Wenn kreative Prozesse, die es derzeit ohne Zweifel braucht, zu Ergebnissen führen sollen, dann wird klare Sprache das entscheidende Werkzeug dafür sein, klare Entscheidungen ebenso.
Folgende Unklarheiten und deren Folgen habe ich in den letzten 30 Jahren als wesentlich identifiziert, vielleicht fallen Dir weitere ein:
- Wir anstatt wer genau: wer genau was tun wird oder getan hat, ist eben genauer als wir tun... Mit dem „Wir machen das und das... beginnt in Besprechungen meistens das sogenannte Beamtenmikado. Wenn jemand sagt: „Wir haben das gut gemacht“, aber selbst nichts dazu beigetragen hat, demotiviert unklare Sprache sogar.
- Unklare Beschreibungen, was genau getan wird, nach dem Motto: ich muss doch nicht genau formulieren. Es fühlen doch alle, was ich meine... ...Wetten nicht?
- Fremdworte, die nicht jeder Beteiligte kennt.
- Unklare Zeitdefinitionen: Nächste Woche ist kein Termin, der in einer Organisation sinnvoll zu verwenden wäre, also: Datum und Uhrzeit.
- Und nicht zuletzt: Verpacken der klaren Worte in einen unklaren Redeschwall, an dessen Ende keiner mehr weiß, was jetzt genau getan werden muss.
Gerade Führungskräfte – und ich weiß, wovon ich spreche – machen es sich oft einfach: Die oder der andere soll sich halt melden, wenn sie oder er etwas nicht versteht. Genau das passiert aber meistens nicht. Weil dazu zu stehen, dass man etwas nicht verstanden hat, ist für die meisten hochgradig schambesetzt. Lieber wird das Projekt auf der letzten Rille irgendwie abgeschlossen, bevor man etwas sagt.
Was also tun? Zum einen: Langfristig eine Atmosphäre schaffen, in der sich die wertgeschätzt fühlen dürfen, die sich melden, weil etwas unklar ist, ein Stöhnen ist die falsche Antwort auf Verständnisfragen. Und: Vorleben und dafür sorgen, dass das auch in der Teamarbeit so ist. Ermutigen, dass nachgefragt wird. Zum anderen: Verantwortung für die eigene Kommunikation übernehmen, und: Zu Fehlern in der eigenen Kommunikation stehen. So entsteht Fehlerkultur ganz pragmatisch.
Mangelnde Selbstbeherrschung und beliebt sein wollen...
Warum wird eigentlich unklar gesprochen, wenn es eigentlich um konkretes geht? Zum einen (siehe oben) aus Bequemlichkeit und damit aus mangelnder Selbstbeherrschung, zum anderen gerade in Teams aber auch oft aus Unsicherheit („Darf ich das jetzt so klar sagen?“, fragt sich der Mensch und sagt nur die Hälfte oder bleibt vage). Oder weil man den Kaffeeplausch- und Smalltalkjargon, den man mit den Kolleg*innen pflegt, nicht verlassen möchte, weil sich die Beziehung ändern könnte zu den Kolleg*innen. Wer als erster klar fragt, was jetzt wer tut, wirkt ja so konkret und vielleicht auch hart, das will man aber nicht, weil man dann ja weniger beliebt sein könnte. Menschlich, aber nicht zielführend, wenn man etwas bewegen will.
Eine Möglichkeit, in Teams, Unternehmen und Organisationen mehr Klarheit zu leben, ist, ganz altmodisch: Üben, trainieren. Beim üben kommen die Erfolge und damit können Scham, Bequemlichkeit und Unsicherheit im Laufe der Zeit gehen, wenn es gut läuft und das ganze Team übt.
Reflektionsfragen:
- Auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 10 (perfekt): Wie klar wird in Deinem Unternehmen gesprochen, wenn es um Organisatorisches und um Projekte geht?
- Was könnte Dein Beitrag sein, um das zu verbessern?
- Woran erkennst Du, wenn es verbessert ist?
Copyright: Anatol Hennig, 2019
>> Alle Blogbeiträge sind aus meinen kostenlosen Rundbriefen, die ich maximal monatlich versende und die Du hier abonnieren kannst.