Ein Virus verändert die Welt und unser aller Leben, möglicherweise so, dass wir zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten eine ernsthafte Zäsur erleben werden. Wie führt man in diesen Zeiten? Ein paar Gedanken dazu:
1. In dieser Krise ist aus meiner Sicht der Ausgang unsicher. Weil wir nicht wissen, wie lange der momentane Zustand anhält. Rutschen wir in die größte Rezession der letzten 100 Jahre? Werden danach andere Werte gelten? Geht alles einfach vorüber und wir werden bald über diese Zeit lachen? Werden wir unsere Freiheit, die wir gewohnt waren, wieder bekommen? Wann? Steht das eigene Geschäftsmodell nach dem Virus noch? Haben wir danach so viele Schulden, dass wir aufgeben müssen? Bekommen wir so etwas wie eine Stunde null?
Ich glaube, wenn nichts mehr sicher ist, dann geht es um die eigene Haltung: Was will ich gerade für meine Umwelt sein, was sollen meine Mitarbeiter, meine Kunden, meine Lieferanten, meine Mitbewerber gerade erleben mit meinem Tun? Das kann die Grundlage einer Strategie sein, die in jedem Fall stimmig sein wird, egal, wie diese Coronakrise ausgeht. Es macht auch Sinn, sich diese Fragen für die Zeit nach der Krise zu stellen: Was will ich nach der Krise für Werte leben? Wie will ich nach der Krise für die Menschen da sein? Was werden die Menschen danach von mir haben wollen? Die Beantwortung dieser Fragen gibt Orientierung und die richtige Haltung kann Wunder bewirken jetzt und sehr viel Kraft ausstrahlen.
2. Den maximalen Verlust annehmen – alte Samuraistrategie. Das ist nicht gerade der einfachste Umgang mit Problemen im Moment, aber der effektivste aus meiner Sicht, der Sie am stärksten macht für sich selbst und Ihr Umfeld. Dieses Umfeld braucht Sie als Führungskraft jetzt: Wenn Sie sich überlegen, was der maximale Verlust aus dieser Krise sein könnte, erstens für Sie persönlich und zweitens für Ihr Unternehmen jetzt und dann entscheiden, was Sie dann noch geschafft haben wollen oder für was Sie die Grundlagen geschaffen haben wollen, dann haben Sie mit Punkt eins zusammen einen weiteren wichtigen Strategiebaustein. Krass gedacht: Persönlich kann ich an diesem Virus sterben, dann will ich den Menschen bis dahin die Zuversicht, dass es immer einen Weg gibt, gebracht haben; Sicherheit mit der Erfahrung, dass sie mehr können, als sie glauben und eine Idee, wie man mit großen Problemen umgeht.
Etwas sanfter: Das Unternehmen kann in Konkurs gehen, dann kann ich bereits eine Idee entwickeln, wie man weitermachen kann mit anderem Geld, vielleicht, weil ich andere jetzt von dem begeistere, was mein Unternehmen tut. Oder ich weiß, dass ich mich nach einem Konkurs um die lieben um mich herum kümmern will und erst einmal gar nicht mehr Unternehmer sein will. Auch eine Entscheidung, die allerdings eine ganz andere Strategie erfordert, auch im Hinblick auf die Mitarbeiter. So entsteht Klarheit. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es geht nicht darum, sich aufzugeben, es geht darum, den Worst Case nach Samuraimanier einmal durchzuspielen, anzunehmen, zu wissen, was man dann tut und diese Kraft mitzunehmen, damit man sich danach entspannt und kraftvoll Punkt 3. widmen kann und Tag für Tag das Beste tun kann, was man kann.
3. Erkennen, was Sie und Ihr Unternehmen oder Ihr Team und jeder einzelne Mitarbeiter in der Krise jetzt für einen Nutzen bringen können. Was können Sie mit ihren Stärken, ihrer Infrastruktur, ihrem Können jetzt für die Menschen? Das zu definieren, ist entscheidend. So kommen Unternehmen darauf, statt Schnaps Desinfektionsmittel herzustellen oder Gastronomen machen Bestellservices auf, etc.. Seien Sie kreativ und nehmen Sie dabei Ihr Team mit, auch beim Ideen generieren.
4. Hinten absichern: wenn der grobe Kurs festgelegt ist, dann ist die Zeit, sich damit zu beschäftigen, wie lange man diesen Kurs durchhält und verschiedene Szenarien durchzuspielen, dieses Planspiel ermöglicht Ihnen schnelle Reaktion unter 6.. Dabei gilt aus meiner Sicht: Machen Sie sich nur so abhängig von anderen wie nötig und bedenken Sie, dass es eine Zeit nach der Krise geben wird. Das heißt: Spielen Sie unterschiedliche Szenarien durch (am besten schriftlich) und entscheiden Sie, was Sie an fremder Hilfe oder Wegducktaktiken wie Kurzarbeit etc. in welchem Szenario brauchen, statt wie ein Ertrinkender nach jedem Halm zu greifen, obwohl sie noch nicht einmal bis zu den Knien im Wasser stehen. Seien Sie aber auch nicht zu zögerlich.
5. Solidarität leben. Diese Krise erfordert aus meiner Sicht in jedem Fall, dass man sich überlegt, mit wem man jetzt in einem Boot sitzt und was man in diesem Boot beitragen kann und wer einem vielleicht Rat geben kann oder helfen kann.
6. Auf Sicht fahren. Auf Sicht fahren heißt in diesem Fall nicht, den Problemen hinterherzuhinken, sondern sie eben immer ein bisschen vorauszusehen und vorbereitet zu sein, während die anderen sich noch selbst bedauern oder noch in Schockstarre sind. Definieren Sie Ziele dann schnell neu und passen Sie sie der Lage an. Nichts ist demotivierender für Sie selbst und Ihre Leute, als Zielen hinterherzurennen, die es nicht mehr gibt. Im Klartext: Auf das jetzt Machbare konzentrieren, das klar definieren, durchdenken und dann tun.
7. Als Führungskraft da sein. In den fetten und eher bequemen Zeiten konnte man immer mal wieder lesen, dass es hip ist, vom Strand oder vom Tennisplatz aus zu führen. Egal, wie man das bewertet: Jetzt ist jedenfalls Präsenz nötig. Die Mitarbeiter brauchen Sicherheit durch Ihre Anwesenheit und wenn nicht persönlich, dann am Telefon oder per Videokonferenz oder mit klaren Worten in Schriftform, wenn es gar nicht anders geht.
8. Die Gefühle der Mitarbeiter wahrnehmen, akzeptieren und einbeziehen. Mit den Gefühlen der anderen muss man nicht einverstanden sein, schon gar nicht in Krisenzeiten, aber man muss sie zu verstehen versuchen und man muss jetzt auch den einen oder anderen vor sich selbst schützen: Jetzt in diesem Stress kommen Muster hoch, die tiefer sind, als das Bewusstsein und das Denken normalerweise greifen. Manche entwickeln unbändige Energie, manche bekommen lähmende Angst, manche machen weiter, als ob nichts wäre, andere fliehen.
Sie alle brauchen jetzt Klarheit (siehe 1., 2., 3., 6. und 10.): Die unbändige Energie will kanalisiert sein und braucht, dass sie genutzt wird. Die lähmende Angst will vielleicht einfach gehört werden und dann das Gefühl haben, dass sie nicht alleine ist. Die, die einfach weiter machen, als ob nichts wäre, wollen vielleicht irgendwo eingesetzt werden, wo es weiter geht wie immer, das kann von großem Nutzen sein. Die, die fliehen, wollen vielleicht gefragt werden, warum und eine Lösung für den Grund ihrer Flucht bekommen. Ja, das ist Arbeit und kann einen im vollen Lauf stoppen. Wer sich dem stellt, wird viel Gutes säen und Menschen um sich herum haben, die sich gerne einsetzen.
9. Schnell bremsen und Gas geben lernen. Die Geschwindigkeit ist gerade entscheidend und zwar die Geschwindigkeit, die jeweils die richtige ist: Manchmal muss man schnell sein, manchmal sorgt Schnelligkeit für eine Karikatur von Machen, für operative Hektik. Und manchmal ist es wichtig, ganz ganz langsam zu werden, durchzuatmen, als Vorbild für die anderen und um selbst wieder beide Füße auf den Boden zu bekommen. Achten Sie darauf, welche Geschwindigkeit jeder Ihrer Leute verträgt: wer jetzt abreißen lassen muss oder alleine vorne außer Sichtweite panisch vorausrennt, weil ihn niemand einfängt, richtet schnell Schaden an.
10. Sicherheit geben. Sicherheit gibt man, wenn im ganzen Team die jeweils aktuelle Lage, die Grundzüge der Strategie und für was wer gerade genau verantwortlich ist, sehr klar kommuniziert ist. Das wird jetzt erwartet und das ist das größte Geschenk, das eine Führungskraft jetzt ihren Mitarbeiter*innen geben kann.
11. Schonungslos ehrlich sein und Sinn geben. Richtig gelesen. Nein, Sie müssen Ihre Mitarbeiter nicht schonen. Sagen Sie den Mitarbeitern, was im besten Fall passieren kann und machen Sie Ihnen klar, was im schlimmsten Falle für das Unternehmen passiert (siehe Punkt 2.) und vermitteln Sie die Strategie für beide Fälle. Überlegen Sie sich und kommunizieren Sie, was die Mitarbeiter in beiden Fällen davon haben.
Das ist ein entscheidender Punkt. Wir Menschen, auch unsere Mitarbeiter, sind krisenfester, als wir alle glauben. Vorausgesetzt, wir sehen einen Sinn in dem, was gerade passiert und was wir jetzt tun sollen und für was wir kämpfen. Was ist das für ein Sinn, den Sie den Leuten geben wollen gerade?
Versuchen Sie nicht, die Menschen zu täuschen: Menschen fühlen, wenn etwas nicht stimmt, selbst, wenn sie es nicht benennen können - und dieses Gefühl lähmt. Sagen Sie den Leuten auch, was Sie jetzt für Sie sein wollen und was Sie von Ihnen brauchen und: Stehen Sie dazu, wenn Sie mal müde sind, nicht mehr weiter wissen, fertig sind mit den Nerven und sagen Sie ihnen auch, wenn sie wieder Ideen haben, die Energie wieder kommt. Nicht dauernd, aber dann, wenn sie das Gefühl haben, dass das gerade wichtig ist. Ihre Leute schauen gerade mehr auf Sie als in einfachen Zeiten.
12. Feiern Sie mit den Leuten kleine Erfolge, bestellen Sie eine Runde leckeres Essen beim regionalen Restaurant, das jetzt schon sein Geschäftsmodell umgestellt hat auf Lieferservice, und wenn alle im Homeoffice sind, dann bekommt jeder die Möglichkeit etwas zu essen zu bestellen und es wird um 19 Uhr gegessen - das wird die etwas andere Videokonferenz.
So, das war`s. Vielleicht hat Ihnen das eine oder andere aus diesen Zeilen gedient und bei allem gilt: Auch ich spüre derzeit wie wahrscheinlich Sie alle zwischendrin Unsicherheit und wir werden erst in ein paar Monaten wissen, was dieser Virus und unser Umgang damit wirklich verändern wird, auch wenn die Zukunftsforscher sich schon sicher wähnen.
Ich fühle mich in diesen Zeiten mit Ihnen allen sehr verbunden und wünsche Ihnen Kraft, Mut, Energie, Dankbarkeit, Demut, innere Ruhe und vor allem Gesundheit für Sie und für alle, die Ihnen wichtig sind.
Ihr Anatol Hennig
Copyright 26.3.2020
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